UNGEWISSHEIT

Die wilden Blumen,

Kündigen den Frühling an,

Entlang des Weges.

Lass uns hier bleiben. Lasst uns in diesem Augenblick verweilen. An diesem Ort, wo es noch keine Frage und noch keine Antwort gibt. Hier, wo unsere Ideologien und unsere Überzeugungen es sich noch nicht eingerichtet haben. Hier, wo die Stille noch keinen Namen hat. Wo die Geschichte noch nicht verkündet wurde, wo das Urteil noch nicht gesprochen wurde und wo noch ungewiss ist, was sich im nächsten Augenblick ereignen wird. Ungewissheit. Oft wird gesagt, dass die Ungewissheit wie die Ungeschicklichkeit sei, tollpatchig wie der vergebliche Versuch ins Unendliche zu fliehen, der nur an der Illusion der Lüge zerschellen kann. Es wird gesagt, die Ungewissheit sei blind, sie sei ängstlich, weil sie einsam ist und sich verlassen fühle. Den Kriegern des Lichts, die das behaupten, möchte ich heute etwas reines Wasser anbieten. Etwas von der Luft des Frühlings, etwas von der Ungewissheit dieses Augenblicks in der auch die Blumen leben und in der sie sich öffnen. 

Ich schlage also vor, dass wir uns zunächst fragen, warum uns die Reziprozität, die Synchronizität und die Ungewissheit als Phänomene erscheinen, die uns fremd und sogar unerwünscht sind in der Beziehung zu allem was uns umgibt. Seltsam, nicht wahr? Und noch seltsamer, wenn wir bedenken, dass wir gerade aus der Ungewissheit heraus am deutlichsten beobachten können, dass ausgerechnet die Synchronizität und die Reziprozität genau das sind was die Interaktion zwischen allen Phänomenen prägt. Es gibt also Dinge, welche durch das Festhalten an unseren Gewissheiten nicht sehen, womit wir nicht nur bei der Wichtigkeit der Ungewissheit ankommen, bei der Wichtigkeit es sich nicht einzurichten in einer bestimmten Perspektive der Wirklichkeit sondern auch in der Beziehung zwischen dem was wir als äußerlich und dem was wir als innerlich wahrnehmen. Ein wichtiger Punkt in Zeiten, in denen wir die künstliche Intelligenz als Fortschritt bezeichnen und gleichzeitig beobachten können, dass unsere Gesellschaft immer mehr von Algorithmen gesteuert wird, und dass die Funktion dieser Algorithmen von den Interessen einiger weniger bestimmt wird.  

Es gibt also etwas an den Gewissheiten, dass weder ignoriert noch vergessen werden darf. Dinge wie die Tatsache, dass sich hinter jeder Wahrscheinlichkeitsrechnung immer eine Ideologie verbirgt. Wir müssen uns also immer vor Augen halten, dass es, wenn wir über die Welt nachdenken, viele Unterscheidungen und Konzepte auftauchen, die uns dazu bringen, eine mentale Karte der Welt zu entwerfen. Im Rahmen dieser Karte bezeichnen wir die Anordnung der Begriffe und ihrer jeweiligen Bedeutungen als das Bekannte. Aber dieses Territorium, dieser Ort, an dem die innere Welt und die äußere Welt sowie wir selbst und andere klar definierte Begriffe sind, wird niemals die wirkliche Welt sein. Ich möchte versuchen, mich noch deutlicher auszudrücken. Im Fortschritt wie in allem was geschieht, bilden das Wahre und das Illusorische zusammen und gleichzeitig die Realität.  Wenn wir kein Verständnis für diesen dualen Charakter der Realität aufbringen und dieses Verständnis kultivieren, wird der Fortschritt immer illusorisch sein, oder anders gesagt, ein Rückschritt sein. Warum? Weil sich hinter dem Glauben an Gewissheiten, wie hinter unserem  Geschmack, den Farben, der Brise, den Düften, immer Stereotypen verbergen werden, die unsere Abhängigkeit von dem, was wir als nur äußerlich wahrnehmen, weiter verstärken werden.

Die Ungewissheit ist wie eine Frühlingsblume. Sie ist wie die Intelligenz der Natur, die in jeder noch so einfachen Blume innewohnt. Eine Blume, die sich trotz der Kälte inmitten des Unbekannten erhebt, ohne Vergleiche aufzustellen, ohne Unterschiede zu schaffen, ohne einem bestimmten Befehl zu folgen, ohne Konzepte zu halten, und um auf dieser Weise aus dem Frühling eine Tatsache zu machen. Ich frage mich, ob es nicht so ist, dass wenn wir alles geben ohne eine Gegenleistung zu erwarten, wenn wir uns gänzlich der Ungewissheit hingeben, ob dann nicht von selbst sich die Trennung zwischen Innen und Aussen, oder mit anderen Worten der Egoismus, auflösen würde? Lasst uns also hier, bei voller Bewusstheit in der Ungewissheit verweilen. Betrachten wir die Ungewissheit als den größten Schatz. Der Schatz, ein Leben zu führen, das immer frisch, frei und neu ist. Wie der Frühling. Nein, die Ungewissheit ist nicht das Gegenteil der Gewissheit. Die Ungewissheit ist der Moment, bevor sich die Gedanken auf etwas niederlassen.

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REZIPROZITÄT

Der Schnee von gestern,

Die schwarzen Kieselsteine,

Ein Wintermorgen.

Mögen wir nie aufhören uns nach dem Warum zu fragen. Mögen wir nie aufhören, nach dem Warum zu fragen, nur weil wir befürchten, dass die Antwort, die wir finden werden nicht unseren Ideologien oder mit unseren Überzeugungen entspricht. Es gibt Gewässer, die in einer anderen Frequenz schwingen und deshalb unsichtbar für das Bewusstsein sind. Gewässer, die die Sprache der Stille sprechen und sich lautlos bewegen und doch die Gabe haben, eine neue mögliche Art der Beziehung zu uns selbst und auch zur ganzen Welt zu reflektieren. Hören wir also nie auf uns zu fragen warum, denn wenn die Aufmerksamkeit ungeteilt ist, sind die Worte immer perfekt so wie sind, denn sie sind im Einklang mit ihrem Umfeld. Ein Umfeld, das nicht nur die Umgebung einschließt, sondern sowohl die Geschichte als auch die Zeit in der wir leben. Worte wie zum Beispiel jene die als Fragen getarnt daher kommen: Wo verstecken sich die Farben, wenn die Tage nur in schwarz und weiß gekleidet sind? Warum trägt die Nacht heute Trauer, als gäbe es ein Begräbnis? Oder,warum gibt es Kriege? Warum? 

Halten wir hier Inne für eine Weile, denn die Frage ist wichtig. Nehmen wir uns diesen Moment vor und beobachten wir genau unsere Reaktion auf das Unbekannte, noch bevor wir es kategorisieren und unser Urteil fällen. Noch bevor wir es als esoterisch, mystisch, übernatürlich, irrational oder blasphemisch bezeichnen. Betrachten wir vielmehr die wechselseitige Beziehung zwischen dem Inneren und dem Äußeren aus der Einheit von Körper und Geist, um uns aus dieser Perspektive den Dichotomien zwischen Subjekt und Objekt, zwischen Natur und Kultur, zwischen Wissenschaft und Geisteswissenschaften, zwischen dem Inneren und dem Äußeren auf den Grund zu gehen. Aus dieser Perspektive die Wirklichkeit betrachtend, was stellen wir fest? Zunächst einmal, dass die Phänomene zu jeder Zeit durch dynamische, flexible, emergente und wechselseitige Interaktionen miteinander in Beziehung stehen. Die Syntonie, die Synchronizität, die Reziprozität sind nur einige von diesen Formen der Interaktion, des Miteinanders. Dies ist der Moment, in dem wir zur Klarheit gelangen. Jene Klarheit, die uns erkennen lässt, dass alles sowohl eine geistige als auch eine materielle Seite hat. Eine Klarheit, welche die Eigenschaft besitzt, die Funktion eines Spiegels zu erfüllen, und dass dieser Spiegel die Gabe hat, das Unbekannte zu reflektieren.   

Manche beklagen den Verlust von Reziprozität und gesundem Menschenverstand in der heutigen Zeit. Sie sehen in der ständigen Infragestellung der Realität aus einer multidisziplinären Perspektive eine Herausforderung, eine Gefahr. Doch ist es angesichts der konfliktreichen Zeiten in denen wir leben, solange es keine Lösung für die Armut gibt, solange der vom Menschen verursachte Klimawandel das Gleichgewicht in der Natur beeinträchtigt, solange es noch Mehrheitsgruppen gibt, die einen Kampf zwischen den Kulturen den Minderheiten auferzwingen, ist es nicht sogar das gesündeste, diesen sogenannten gesunden Menschenverstand ständig zu hinterfragen? Oder anders ausgedrückt: Können wir uns noch den Luxus leisten, die Realität als etwas festes, fragmentiertes zu betrachten, das nicht der universellen Bewegung folgt, sondern den vom Verstand selbst geschaffenen Urteilen und Vorurteilen? Ich schlage also vor, dass wir dieReziprozität, die Gegenseitigkeit, zwischen dem Inneren und dem Äußeren weiter untersuchen und dabei all jene Bewegungen hervorheben, die von einem rationalen Standpunkt aus unerklärlich sind. Was also sind Geben und Empfangen, wenn sie auf dieser Weise als reziprok betrachtet werden? Ich würde sagen, eine einzige Bewegung. Eine Bewegung, in der ohne ein Vorher und ein Nachher derjenige, der gibt, gleichzeitig empfängt und derjenige der empfängt gleichzeitig gibt.

Warum gibt es Gewässer, die tief und ruhig sind, und andere, die wild sind wie Wasserfälle ? Warum sind die Vögel, die über uns fliegen, gleichzeitig Boten der Freiheit und des Friedens? Die Reziprozität zwischen dem Inneren und dem Äußeren hat ihre eigenen Antworten, und es ist wertvoll, sie zu studieren, denn die Reziprozität fordert uns auf, die Koexistenz zu schätzen und die Verachtung dessen, was anders ist klar zuerkennen. Mögen wir nie aufhören, uns zu fragen, warum? Mögen wir nie aufhören, nach dem Warum zu fragen, nur weil wir befürchten, dass die Antworten, die wir finden, den anderen nicht gefallen könnten. Es gibt Gewässer, die so klar sind, dass sie für das Bewusstsein unsichtbar sind, weil sie in eine für sie eigenen Frequenz schwingen. Es gibt Worte, die aus der Integrität aufsteigen und in der Welt widerhallen wie das Flattern eines Schmetterlings, der den wahren Frühling ankündigt. Worte, die als Fragen getarnt sind, wie wann und warum wird die Gegenseitigkeit zu Gewalt? Oder mit anderen Worten: Warum gibt es Kriege? Warum?

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SYNCRONIZITÄT

Das Bergwasser fliesst,

Die Formen verändern sich,

Kalt, rein. Hinunter.

Es ist wohl ein Geheimnis der Synchronizität, dass wenn das Falsche sich manifestiert, wenn die Lüge ungezügelt wütet und sich die Verleumdung breit macht, die Zeit gekommen ist von dem zu sprechen, was wichtig und richtig ist, was klar ist und integer gleichzeitig.  Wenn die Illusion an Boden gewinnt und wir das Gefühl haben, den Wald vor lauter Bäume nicht mehr zu sehen  ist die Notwendigkeit zu klären was das Reine ist, sofort da, unverzüglich. Die Synchronizität ist ein solches reines Wasser. Ein Wasser  in dem alle Unreinheiten sofort sichtbar werden. Denn die Syntonie ist mehr als nur eine unmittelbare Reaktion ohne einen Früher und einen Später. Vielmehr ist sie die Synchronizität zwischen der Ursache und der Wirkung. Es ist der Sommer, der bereits den Winter in sich trägt. Es ist der Körper in Einheit mit dem Geist. Es ist die Anpassung einer Frequenz und es ist sowohl das Fühlen, Sprechen und Handeln in Harmonie miteinander. Mit anderen Worten, alles spiegelt sich in der Syntonie wider, nicht nur das, was nicht passt, wie die Lüge, sondern auch die unendlichen Ursachen von Illusion und Disharmonie. Ich schlage also vor, dass wir uns damit befassen, was die Syntonie ist, und ich tue dies, indem ich der Welt verkünde: Synchronizität ist Integrität; Integrität ist Synchronizität.

Synchronizität ist Integrität. Wenn es Integrität gibt, sind die Wahrheit und die Realität nicht voneinander getrennt. Wenn die Synchronizität die Integrität ist, ist die Wahrheit nicht etwas, das erreicht werden muss und die Realität auch nicht nur ein bloßes Medium zwischen dem Jetzt und einer vermeintlich besseren Zeit. Mit anderen Worten, die Trennung ist in der Synchronität einfach nicht vorhanden, und weil die Trennung nicht vorhanden ist, ist auch die Lüge nicht vorhanden. Es ist wie die Körperhaltung, in der sich gleichzeitig sowohl der Geist in der Körperhaltung reflektiert als auch die Körperhaltung in den Geist. Und weil die Syncronizität Integrität bedeutet, bilden in dieser Reflexion sich selbst diejenigen ab, die von einem Kult des Körpers sprechen wenn wir von der Haltung von Zazen sprechen. Mehr noch, ist es die Ignoranz, die spricht, wenn der Körper vom Geist als getrennt von einander angenommen werden, und es ist die ideologische Intoleranz, die zum Ausdruck kommt, wenn von Kulten gesprochen wird, wenn eigentlich die Einheit von Körper und Geist gemeint ist. Ja, die Syncronizität bedeutet Stimmigkeit und darum in ihr, in der Stimmigkeit, spiegelt der Körper den Geist und der Geist den Körper wieder.

Die Integrität ist Syncronizität. Man kann schon in der Form erkennen wie die Empfindung sich im Wort und das Wort in der Handlung wiederfindet. Mit anderen Worten integer zu sein impliziert mit uns selbst im Einklang zu sein und uns auf diese Weise mit allem um uns herum im Einklang zu bringen. Es ist das Teilen und Leben einer gemeinsamen Vision von dem, was wahr ist. Weil Integrität Übereinstimmung ist, bedeutet Integrität, mit uns selbst im Einklang zu sein und daher zu erkennen, dass wir nicht nur miteinander, sondern auch mit allem um uns herum verbunden atmen. Es bedeutet zu erkennen, dass das, was wir fühlen, denken und tun, eine direkte Auswirkung darauf hat, wie wir leben, auf unser Leben, auf den Raum um uns herum, und wenn ich von Raum spreche, dann meine ich automatisch auch jene, die nach uns kommen. 

Synchronizität ist Integrität; Integrität ist Synchronizität. Mit diesen Worten sage ich, dass es in der Integrität eine Syntonie gibt und gleichzeitig, ohne ein Vorher und Nachher, in der Syntonie es Integrität gibt. Warum sage ich das auf dieser bestimmten Art und Weise? Weil es bei einen Vorher und einen Nachher es keine Synchronizität und folglich keine Integrität geben kann. Ein Konflikt? Eine Sackgasse? Ein Dilemma? Ja, vielleicht ist es ein Dilemma, aber für das es eine Lösung gibt, welche ich in diesem Fall als Frequenzabstimmung bezeichne, oder um ein anderes Wort zu verwenden, nenne ich es Praxis. Die Umsetzung der Lehren in die Praxis. Hier kommen wir zu einem weiteren Merkmal sowohl der Integrität als auch der Syncronizität, nämlich der Möglichkeit die Umsetzung der Lehren in die Praxis zu überprüfen. Mit Überprüfung meine ich nicht nur die Überprüfung der Gefühle, Worte und Taten, sondern auch – wie könnte es anders sein – wie sie untereinander übereinstimmen, wie sie miteinander passen. Überprüfen wir das soeben gesagte? Wenn die Integrität sich manifestiert, wird dem Wunsch, das zu beflecken, was nicht befleckt werden kann, nicht entsprochen. Weil dem Wunsch, das zu beflecken, was nicht befleckt werden kann, nicht entsprochen wird, gibt es auch kein Wort, das es beflecken möchte und folglich gibt es auch keinen Akt, das beflecken zu wollen, was nicht befleckt werden könnte. Das ist es was ich Integrität nenne. Das ist es, was wir als Synchronizität bezeichnen.

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INTEGRITÄT

Zwischen den Felsen,

Frisches Wasser fliesst vom Berg,

Den Hang hinunter.

Manchmal, im Delirium, frage ich mich was aus der Reinheit werden würde, wenn es das Falsche nicht gäbe. Ich frage mich, was wäre aus dem das existiert noch bevor das Böse auftaucht, noch bevor es einen Schaden angenommen hat, noch bevor es durch einen Gedanken verunreinigt wurde. Was wäre aus diesem reinen Raum von Ort und Zeit, wenn es keine Lügen, keine Verleumdung gäbe? Das sind Momente, die den wahren Wert von Utopien offenbaren, denn während sie mich immer wieder ermutigen weiterzugehen und mich selbst zu hinterfragen, wird mir früher oder später klar, dass ohne die Illusion es den Wert der Wahrheit nicht gäbe. Er würde verschwinden, einfach, weil das Echte vom Falschen abhängt wie das Licht von der Dunkelheit. Wirklich? Würde er wirklich verschwinden? Fragen, die mich ermutigen, neue Schritte zu wagen und zu hinterfragen, was hinter dem Materiellen, dem Spirituellen steckt, oder mit anderen Wörtern gefragt: was steckt hinter den Gegensätzen? Was ist das Hier und Jetzt in Wirklichkeit? Und sogar: was ist das Nichts eigentlich?

Deshalb möchte ich heute damit beginnen, Ihnen allen nicht nur ein frohes neues Jahr zu wünschen, sondern auch die Utopie herzlich willkommen zu heißen sowie die Lüge herzlich zu begrüßen. Die Verleumdung, die die Leere als böse, nihilistisch oder gar satanisch bezeichnet und sie einer heimlichen Invasion bezichtigt. Diese Lüge, die rundheraus leugnet, dass das Nichts auch gleichzeitig der Sommer, der Winter, ein Bach, der Wald, die Klarheit, ein Klang ist. Auf diese Weise gehe ich weiter, bis ich wieder mal über einen alten Fall stolpere:

Meister Nangaku Ejo war ein Schüler des heiligen Patriarchen, Meister Daikan Eno. Eines Tages fragte er ihn: 

-Woher kommst du?

Meister Nangaku antwortete:

– Ich komme von Meister Ankoku vom Berg Su.

Daraufhin sagte der sechste Patriarch: 

– Es ist etwas Unvorstellbares geschehen.

Darauf konnte Meister Nangaku überhaupt nicht antworten. Dann diente er dem sechsten Ahnen acht Jahre lang. Bis er endlich die Worte verstehen konnte und verkündete:

– Ejo hat verstanden. Als ich zum ersten Mal hierher kam, begrüßte mich der Meister mit den Worten: „Es ist etwas Unvorstellbares geschehen”.

Der sechste Patriarch fragte ihn: 

-Wie verstehst du diese Worte?

Meister Nangaku antwortete: 

– Etwas in Worte zu fassen, trifft nicht das Mark.

Der sechste Patriarch fragte erneut:

– Geht es dir noch um Praxis und Verwirklichung oder nicht?

Meister Nangaku erwiderte: 

– Es ist nicht so, dass es so etwas wie Praxis und Verwirklichung nicht gibt. Es ist nur so, dass, wenn der Geist befleckt ist, er nicht erlangt werden kann (1).

Der sechste Patriarch antwortete: 

– Diese „Unbeflecktheit“ ist genau das, was sich alle Buddhas gewünscht haben, dass es erhalten bleibt. 

Es wird gesagt, dass die Integrität ein Wert, eine Eigenschaft von jemandem ist, der moralische Aufrichtigkeit und Ehrlichkeit im Verhalten und Benehmen hat. Genau darauf, auf dieses Verhalten, lenkt dieser Fall die Aufmerksamkeit hin. Wir gehen weiter, bis wir die Worte finden, die die Gesamtheit der Realität beschreiben. Eine Wirklichkeit, in der es keinen besseren Zeitpunkt als jetzt gibt, in der die Zazen-Praxis kein Mittel ist, um Erleuchtung zu erlangen, sondern die wahre Bedeutung des Wortes Shikantaza offenbart – einfach nur sitzen. Sitzen, ohne etwas anderes zu tun als nur zu sitzen. Dort und nur dort ist das Nichts, die Sonne, die weißen Wolken oder auch ein einsamer Garten, auf dem gleichzeitig die Schneeflocken seine Silhouette schmücken sowie die Wärme einer Sommerdämmerung, die das amethystfarbene Zwielicht entfacht hat.

(1) Fall 1, Buch 2 – Dogen Zenjis 301 Koan-Sammlung

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DIE DÄMMERUNG

Das Haus, die Bäume,

Alles durchdringt die Stille,

In der Dämmerung.

Nein, die Wolken sind nicht stumm, noch ist die Dämmerung vage. Es ist nicht die Dämmerung jene die ständig die Wahrheiten verändert. Auch ist es nicht das Gleichgewicht jener der den Atem des Planeten gefährdet. Vielmehr sind es wir selbst, jene die die Gelassenheit mit der Gleichgültigkeit verwechseln. Die Vergänglichkeit mit den Verlust. Eine schöne Illusion von der Wahrheit und ihrer Reinheit. Oder das Sonnenlicht mit einem flüchtigen Glanz, der die Augen verbrennt. 

Wirklich? Glauben wir wirklich, dass durch die Rückkehr zum Autoritarismus wir eine befriedigende Antwort auf unsere Unsicherheiten finden werden?, indem wir zu einer scheinbar geordneten und perfekten Welt zurückkehren? Es gibt Menschen, die meinen, die Hölle sei das Schlimmste, was es gibt. Denen sage ich, dass das Schlimmste ist ein Leben lang im Glauben zu leben, etwas gutes für andere zu tun, während wir Ihnen in Wahrheit schaden. Nein, Wolken sind nicht stumm. Genauso wenig wie Bäume, die Fische oder die Meere. Sie sind nicht stumm, denn sie alle stehen für den Wert der Spontanität, die Schönheit des Vergänglichen und die Zerbrechlichkeit des Verletzlichen. Alles, was mit seinem ganzen Wesen all das widerspiegelt was wir mit den Gerüchten, die wir in die Welt setzen, mit den Lügen die wir schaffen, mit den Klischees, die wir pflegen und fördern, verzweifelt zu verdrängen versuchen. Weil wir uns aber in einem Labyrinth von Verwirrungen verloren glauben, gibt es keinen Grund ohne Weiteres von der Zusammenarbeit zum Wettbewerb zurückzukommen, von der Brüderlichkeit, der Gleichheit und der Freiheit zum Betrug, der Einschüchterung und dem Auge um Auge.

Die wirkliche Begegnung muss also stattfinden. Damit meine ich die Begegnung mit uns selbst. Wir müssen uns selbst begegnen, uns selbst verstehen, unsere eigenen Verdrängungen klar sehen, damit sie geheilt werden können, indem sie an die Oberfläche kommen.  Wir müssen in uns selbst den Wert der Erscheinungen klären, nicht indem wir sie leugnen etwa, sondern indem wir die Beziehung zwischen dem Oberflächlichen und dem Tiefgründigen verinnerlichen. Wir müssen mit unserem ganzen Wesen in die Wahrheit der Zeit eindringen und verstehen, dass das Hier und Jetzt nicht nur ein Konzept ist, sondern auch unseren eigenen Atem und unseren ganzen Körper ganzheitlich umfasst. Wir müssen verstehen, dass die Kontrolle nur ein Werkzeug ist, welches nur in bestimmten Situationen nützlich ist, denn in einem größeren Zusammenhang gibt es wirklich nichts, woran wir uns festhalten können. Wir müssen selbst zu dem werden, was transparent, klar und rein ist, denn wenn wir Veränderungen im Äußeren sehen wollen, müssen wir damit beginnen, unseren eigenen Geist zu transformieren. Von dort aus folgen die richtigen Handlungen auf natürlicher Art und Weise.

Es wird gesagt, dass die letzte Abendsonne besonders zärtlich ist zu den trockenen Blättern ist. Wandernde Reinheit. Hier stirbt das Gleichgewicht. Hier endet die stets melancholische Schönheit der Ungewissheit.  Nein, die Wolken sind nicht stumm, noch ist die Dämmerung vage. Es ist nicht sie, die ständig die Wahrheit verdreht. Auch ist es nicht das Gleichgewicht, das den Atem des Planeten gefährdet. In Wirklichkeit gibt es nichts schmerzhafteres, als auf halbem Wege zu verharren und so zu tun, als sei der Weg bereits verwirklicht. Wir müssen wirklich verstehen, dass der einzige Grund, warum die Buddhas in der Welt erscheinen darin besteht, die große Sache zu klären und unsere wahre Natur zu offenbaren.

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DER MOND

Umringt von der Nacht,

Offenbart seine Rundheit,

Der Mond am Himmel.

Was wäre aus der Stille ohne das Wort? Was wäre, wenn es die Zeichen nicht gäbe, die Sprache, die Schriften, die Symbole? Das wäre wie eine klare Nacht ohne den Mond. Wie eine Nacht in einem ewigen Winter, wo die Dunkelheit nicht nur dunkel ist, sondern auch unnachgiebig, kalt und trostlos, wie der Deckel eines Grabes. Wenn es also das Wort nicht gäbe, wäre die Stille wie ein verlassenes Kind, dass ohne Orientierung schutzlos dem Treiben der Zeit ausgeliefert wäre: ist es aus Angst? Ist es aus Unwissenheit? Ist es aus Zustimmung? Ist es aus Wohlwollen oder warum ist es jetzt still hier? Ewig ließe sich auf diese Fragen eine Antwort erwarten, gäbe es nicht die Sprache. Gäbe es das Wort nicht ergäbe alles keinen Sinn und niemand würde sich je mehr hinterfragen.

Gäbe es das Wort nicht, gäbe es also auch die Stille nicht, denn wir kämen nie zur Ruhe. Ohne das Wort wäre nämlich alles auf ewig verschwommen, verloren gegangen in einem Ozean aus Empfindungen und Gefühlen, verirrt in den Impulsen wären wir nur noch ein Spielball der Triebe und des Lebens. Alles wäre dann wie eine sich selbst stets wiederholende Lüge, die weil sie optimal auf unsere Bedürfnisse eingestellt wäre, wir uns ihr nicht entziehen könnten und wir sie dann irgendwann glauben müssten, weil es dazu keine Alternative gäbe. 

Manche sagen die Stille wäre wie ein Schatten, weil sie, die wahre Stille, ausschließlich zwischen den Wörtern weile. Sie verstehen aber nicht, dass wenn sie das behaupten, das Endlose maßlos zu begrenzen versuchen. Das ist wie der Versuch den Mond mit einem Netz zu fangen. Sie geben damit zu verstehen, dass sie weder wissen was die Wörter sind, noch dass sie die Stille kennen, die wahre Stille, die Stille in den Wörtern. Sie verstehen nicht, dass die Wörter die Wörter sind, weil sie sowohl die Wörter als auch die Stille umfassen. Und sie verstehen nicht, dass die Stille, die Stille ist, weil sie die Trägerin ist all unserer ewigen Geheimnisse. Eine Trägerin von Geheimnissen also wie der Mond, der innerhalb seiner Kontouren die Strahlen der Sonne einfängt um sie auch nachts ins Dunkel zu reflektieren. 

In der wahren Stille gibt es kein früher oder später, kein nah oder fern, kein besser oder schlechter, kein gut oder böse, denn alles ist ein für alle zugängliches und offenes Geheimnis, dass alle kennen wie das Geräusch eines pochenden Herzens. Wie tief und doch unverborgen manche Geheimnisse sitzen können. Was wäre aus der Stille ohne das Wort also. Was wäre, wenn es die Zeichen nicht gäbe, die Sprache, die Schriften, die Bedeutung und die Symbole? Dann könnten wir aus dem Denkkarussell nicht erwachen, der die Stille ewig als den Gegensatz der Sprache betrachtet. Dann könnten wir nicht erkennen, dass wir uns nur der Stille gewahr werden können, weil es die Sprache, die Bedeutung und die Wörter es zulassen. Der Mond beleuchtet die Nacht wie die Wörter die Stille. Er strahlt ohne dass sein Licht sein eigenes wäre und ermahnt damit sich immer gut vor Augen zu halten: Was wäre aus dem Licht, wenn es die Dunkelheit nicht gäbe? 

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ZWÖLF II

In Stein gemeißelt,

In der Mitte des Teiches.

Springen kann er nicht.

Eines Tages wurde Meister Keichin aus dem Jizo-Tempel vom Meister Gensa Shibi gefragt (1): 

-Die Menschen sagen, dass die drei Arten der Welt nur Geist sind. Wie verstehest du dies?

Meister Keichin zeigte auf einem Stuhl und sagte: 

-Wie bezeichnest du dies, Meister?

Meister Gensa antwortete: 

-Als einen Stuhl

Meister Keichin sagte: 

-Du verstehest nicht, dass die drei Welten nur Geist sind

Meister Gensa sagte:

– Ich bezeichne dies als Bambus und als Holz. Wie bezeichnest du es?

Meister Keichin antwortete: 

-Auch ich bezeichne es als Bambus und als Holz

Meister Gensa sagte: 

-Unmöglich können wir irgendwo einen Menschen finden, der die Buddha Lehre versteht. 

Sind wir der Zeit gewahr die keine bestimmte Form hat? Sind wir des immerwährenden Jetzt bewusst, dass weil es keine bestimmte Form hat weder entsteht noch vergeht und deshalb weder vom Wissen noch vom Nichtwissen abhängt? Sind wir uns der Einzigartigkeit dieses Augenblicks wirklich im Klaren? Seiner Besonderheit? Sind wir uns dessen bewusst, wie wichtig es ist, das gelernte immer wieder zu vergessen um seine Bedeutung neu zu ergründen?. Weil im Körper der Wörter auch unerträgliche Geschichten weilen. Wie das verstecke Böse. Wie der Sittenwächter des freien Denkens. Wie seine finstere Gestalt?.  Sind wir uns also dessen bewusst wie weitreichend dieses Wissen, das auch als Nichtwissen bezeichnet werden kann, reicht? Wie wertvoll es ist? 

Sich dieser Fragen anschließend und der Natur der Wirklichkeit hinterfragend wollte Meister Shibi eines Tages von Meister Keichin wissen, wie er Keichin es verstehe, wenn die Menschen sagen, dass die drei Arten der Welt nur der Geist seien. Meister Keichin wies auf einen Stuhl hin und fragte: „Wie bezeichnest du dies Meister?“  Und Meister Gensa Shibi gab als Antwort „Als einen Stuhl“ womit er sich allein auf die Ebene des Materiellen, des Funktionalen begab und deshalb von Meister Keichin abgewiesen wurde. Daraufhin formulierte Gensha Shibi seine Antwort um und verlangte erneut um Klärung: „Ich bezeichne dies als Bambus und als Holz. Wie bezeichnest du es?“ Diesmal bestätigte Meister Keichin die Aussage von Meister Shibi, weil er verstand, dass diesmal die Antwort von Meister Shibi dem Wesen der formlosen Zeit entsprach mehrere Bedeutungen und Eigenschaften gleichzeitig zu haben: die Ebene der Bedeutung, die Ebene des Materiellen sowie die Ebene der Nicht Form und sagte: „Auch ich bezeichne es als Bambus und als Holz.“ 

Wie aber eine Wahrheit auszudrücken, dessen Offenbarung davon abhängt, dass man selbst diese Wahrheit erlangt hat? Aus diesem Grund beendet Meister Gensa den Dialog mit den Worten:  Unmöglich können wir irgendwo einen Menschen finden, der die Buddha Lehre, versteht. 

1: Shinji Shobogenzo – Dogen Zenji´s Sammlung von 301 Koan – Buch 2, Nr. 12.

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DIE ZEIT

Kommt er, fliegt er weg?

Sein Flug läßt keine Spuren.

Die Sonne geht auf.

Noch bevor der Wind die Äste berührt, noch bevor sich das Rascheln in Äste, Blätter und Baum verwandelt, noch bevor das Eis vollständig schmilzt und das Wasser den Berg hinunter fließt und wir noch nicht sagen können, ob es noch kalt oder schon warm, ob es schon hell oder noch dunkel ist, ob es feucht oder trocken ist, ob ich es bin oder die Dinge ausserhalb, findet die Zeit vor der Zeit statt. Wenn der Winter noch nicht ganz vergangen ist und gleichzeitig es noch nicht Frühling ist. Ich nenne es die Zeit des wahren Frühlings. Die Zeit in der das Äußere noch im Einklang mit dem Inneren und der Körper noch vollständig der Geist ist. Die Zeit in der das was gerade geschieht noch keine Gewissheit ist und deshalb eine Zeit des Staunens, der Zerbrechlichkeit, der Berührung, des Erfassens ist. Die Zeit des Erlebens. Die Zeit des Seins.

Nein, nicht immer haben wir geglaubt, dass der Wert eines Menschen von seinem Besitz, seinem Geschlecht, seiner Herkunft, seiner Bildung oder von seiner Gesinnung abhängt. Nicht immer war der Schein mehr als das Sein und die Worten wichtiger als die Taten. Nicht immer brauchte es ein ganzes Menschenleben, bis zum Antlitz des Todes etwa, um zu erkennen, dass wir so vielen sinnlosen Dingen nacheifern, so vielen Illusionen. Nein, nicht immer ist es so gewesen. Es gab auch eine Zeit in der uns bewusst war, dass das eigene Sehen und Hören, das eigene Riechen und Empfinden keine Grenzen kennen, einfach weil der Körper und das Bewusstsein nahtlos miteinander verbunden sind. Es war eine Zeit in der wir deshalb auf Vergleiche, auf Urteile und Schuldzuweisungen verzichteten, weil es keine Suche mehr gab. Weil wir wussten wer wir sind und dass schlicht alles was uns umgibt Teil von uns selbst ist. Eine Zeit, die keinen Namen hatte, weil es keine war. Die Vergangenheit war lediglich das bereits vergangene und die Zukunft war sowieso noch nicht da.

Heute, wenn wir vom wahren Frühling sprechen, bezeichnen wir ihn als das Hier und Jetzt. Wir müssen diese Bezeichnung verwenden, weil wir auf Symbole, Zeichen und Abstraktionen angewiesen sind. Wir müssen so tun als sei die Zeit in Fragmente eingeteilt, welche ähnlich wie ein Puzzle, erst zusammengelegt ein ganzheitliches Bild ergeben. Wir sollen das Erlebte verständlich reproduzieren und nennen es kommunizieren. Ich frage mich wo und wann? Wo ist uns die Einsicht abhanden gekommen, wann haben wir vergessen, dass das Erleben keine Grenzen kennt, weil es sich ständig verändert, weil es keine bestimmte Form besitzt, weil es alle Dinge in sich enthält? Erst mit der Gewissheit? Erst mit dem ersten Wort? Ich blicke in die Zeit vor der Zeit und die Antwort erstaunt mich selbst, denn die einzige plausible Antwort die ich finde ist wieder Hier und Jetzt. Dort wo die Unterteilung in Präsenz, vorher und nachher beginnt. Der Kreis schließt sich und ich fühle mich als wäre ich angekommen. Als wäre ich jetzt dort wo die Zeit beginnt.

Deshalb sage ich Hier und Jetzt ist auch die Zeit wo der Kolonialismus, die Armut, die Vertreibung, die Benachteiligung, wo der Krieg beginnt. Wo die Opfer Täter Umkehr möglich ist, wo immer wieder das Opfer zum Täter und der Täter zum Opfer wird.  Andererseits weilt im Hier und Jetzt auch der Duft des wahren Frühlings. Der Frühling der weder kalt noch warm ist, weder hell noch dunkel, weder trocken noch feucht, der keine bestimmte Form hat und weil er keine bestimmte Form hat, weder entsteht noch vergeht und deshalb auch nicht vom Wissen oder Nichtwissen abhängt. Wie ein Seufzen also, wie ein absichtsloses Lächeln nur, wie ein Traum?  Eher wie der Flug eines Vogels, der während er fliegt keine Spuren hinterlässt. Wie der Wind der alle Dinge gleichzeitig berührt und sich dabei auf nichts bestimmtes niederlässt. Das ist das Wesen der Zeit bevor die Zeit beginnt. Es ist grenzenlos. Es ist friedlich. Es ist frei.

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WINTER

Am Ufer entlang,

Ein Winter, zwei Gesichter.  

Ein neuer Tag bricht an.

Die Blätter sind bereits Vergangenheit, die Bäume sind nun kahl. Der Boden ist gefroren und die Sonne hat auf der Nordhalbkugel den niedrigsten Stand über dem Horizont erreicht. Es ist Winter. Es ist die Jahreszeit der Dunkelheit, es ist die Zeit der Nacht. Es ist die Zeit der äußeren Kälte, und doch, weil alles in der Natur der Kraft des Gleichgewichts folgt, ist der Winter gleichzeitig aber auch viel mehr als das. Für das Auge verborgen und für die Sinne unbemerkt ist da auch die innere Wärme, welche die Kraft der Kälte im Äußerem ausgleicht. Eine unsichtbare Kraft die aus dem Winter auch die Jahreszeit des wahren Lichts macht.

Doch leider sehen wir im Winter meistens nur Kälte, Verlust und Tod und damit nur Unsicherheit, Sorgen und Misstrauen. Das ist der Winter der Illusion. Der Winter als ein Zeitfragment gedacht, als würden die Jahreszeiten sich nicht immerwährend kontinuierlich folgen. Schlaflose Nächte sind dann die logische Konsequenz. Nächte in den wir uns an der Hoffnung klammern der Tod möge uns nicht ereilen, während wir auf den Frühling warten. Wo Hoffnungslosigkeit ist, weilt also auch Hoffnung. Und genau das ist was sich offenbart, wenn wir sämtliche unserer Werte, Ideale, Hoffnungen und Glaubenssätze immer wieder loslassen. Wir verraten unsere Werte also nicht, im Gegenteil sogar. Wir lassen sie immer wieder gänzlich los, um sie vollständig wieder zu empfangen. Um immer wieder zu ihrer wahren Bedeutung zu gelangen, um ihren Ursprung immer wieder zu erfahren und um sie so immer wieder frisch neu zu entdecken. Immer und immer wieder. Mit anderen Worten: der Winter ist nur dann wahrlich kalt, wenn wir an einer bestimmten Vorstellung der Reinheit anhaften.

Einst fragte der ehrwürdige Ananda den ehrwürdigen Mahakashyapa: „Älterer Dhamabruder, was außer dem goldenen Kesa hat der Weltgeehrte dir noch vermacht?“ Mahakasyapa rief: „ Ananda!“ Ananda erwiderte: „Ja?“ Mahakashyapa sagte: „hol die Fahne vor dem Tor ein!“. Ananda erwachte (1). Dieser Geschichte muss hinzugefügt werden, dass Ananda ein direkter Schüler Buddhas war, der beim Lernen besonders herausragte. Er betrieb umfassende Studien und besaß ein breites und tiefes Verständnis des Dharma. Dennoch hatte Ananda bis dahin den Grund des Geistes noch nicht klären können. Er haftete noch immer an seinen eigenen Vorstellungen und Interpretationen. Ähnlich wie wenn wir an einer Vorstellung der Reinheit anhaften. Die Reinheit wird dann zur einer Norm und die Normierung zum wahren Grund für die Unfreiheit in uns selbst und in der Gesellschaft. 

Im Winter wird es besonders deutlich warum der Mensch Träume und Vertrauen braucht. Utopien halten uns aufrecht, wie eine lodernde Flamme wenn der Geist mit seinen eigenen Grenzen hadert und wir den Eindruck haben der Winter sei dieses Jahr besonders kalt und zu allem Übel lauere draußen auch noch ein heftiger Wind. Doch die Erinnerung an eine vermeintlich bessere Zeit ist nicht des Winters wahres Gesicht. Dieses Bild des Winters kommt einer Maske gleich, die von uns selbst erschaffen ist. Um dies klar und deutlich zu erkennen, bedarf es der Klärung des Geistes in der Stille. Dort wo es weder Anfang noch Ende gibt, wo es weder kalt noch warm ist, wo es weder laut noch leise ist. An dieser Stelle, an diesem Or,t zeigt sich das wahre Gesicht des Winters in aller Deutlichkeit. Und was für ein Wunder, wenn das Unsichtbare deutlich sichtbar wird. Wie zum Beispiel in dem Augenblick wenn nach der längsten Nacht des Jahres, die Tage endlich wieder anfangen länger zu werden und wir mit unseren eigenen Augen und Sinnen sehen und erkennen können, dass in uns selbst etwas ist, dem wir uns anvertrauen können, dass immer auch Grund zur Hoffnung gibt, dass Leid und Erlösung ganz beieinander liegen, und das es an uns liegt diesen Widerspruch zu lösen. Es ist Winter und der Kreis schließt sich wieder. Es ist die Jahreszeit in der das Licht beginnt wieder zurückzukehren und wir erkennen können, dass es keinen Grund gab die Hoffnung zu verlieren. Die Natur hält nie still, sie ruht höchstens nur.

 (1) Aus: Denkoroku. Die Weitergabe des Lichtes / Keizan Jokin. Frankfurt: Angkor Verlag, 2008. 

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HERBST

Hinter dem Tempel,

Ein jünger Ahorn im Herbst.

Rot, grün, Gold und Braun.

Der Herbst ist da. Schweigsam fallen wieder die Blätter.  Die Ordnung des Sommers ist erneut durcheinander gebracht, denn obwohl noch Jugend in vielen der Blättern der Bäume steckt, liegt auch gleichzeitig Abschied in der Luft. Wehmut ist fast greifbar nah. Zerfallende Schönheit.  Die Abende werden nun kälter und kürzer. So kurz fast wie ein ganzes menschliches Leben. So kalt wie eine ganze Ewigkeit.

Manche sagen, dass Alles was im Frühling geboren wird, im Herbst ein Ende hat. Wie die Blätter, wie die Blumen.  Doch sie vergessen, dass obwohl die Blätter vergehen, die Bäume mit Ihren Ästen bleiben. In Einsamkeit, in Stille. Eine Stille, die aber nicht stumm ist, im Gegenteil sogar, denn mit jedem gefallenen Blatt ist es als würde sie sagen: im Herbst, wenn die gesamte Natur sich nach Innen beginnt zurückzuziehen bis nichts weiter bleibt als die nackte Einsamkeit, ist das Schweigen Silber und das Sprechen Gold. Ja, es mag zwar dualistisch klingen aber tatsächlich, in der Stille des Herbstes wird klar und deutlich, dass eine nackte Wahrheit tausend Mal besser ist als die feige Schuld. Eine Wahrheit nämlich, wenn sie tatsächlich wahrhaftig ist, ist sie von jedem Zweifel erhaben, ist unmissverständlich, klar, direkt und deutlich. Sich als Freund zu geben aber es im Grunde anders meinen? Sich dabei hinter dem Schild einer Lüge zu tarnen?. Dabei sagen manche, dass es Nichts schutzloseres gäbe als ein vom Wind verwehtes Blatt. Ähnlich einem Kind ohne Familie.  Doch sie irren. Schutzloser ist es komplett nichtwissend dem Gesetz von Ursache und Wirkung ausgeliefert zu sein, denn die Rückschläge können dann von überall herkommen: aus der Vergangenheit, aus der Zukunft oder gar unmittelbar. So kann der Herbst für manche sogar fast ermahnend wirken. Andere wiederum behaupten diese Haltung sei eher naiv, denn im Grunde komme es doch nur auf das Gewinnen an. Doch auch sie irren. Und sie gehen unweigerlich Fehl, weil sie im Herbst nur das Vergehen sehen und missachten, dass nach dem Herbst der Winter kommt und nach dem Winter es wieder Frühling wird. 

Der Herbst verkörpert wie keine andere Jahreszeit die Vergänglichkeit sagen manche dann. Doch sagen Sie das, weil sie in der Vergänglichkeit nur Verlust erkennen, nicht eine Möglichkeit. Die allgegenwärtige Gelegenheit uns jenen unheilsamen Verhaltensweisen bewusst zu werden, die uns daran hindern wahrheitsgetreu zu leben und damit wahrhaftig frei zu sein. Mit anderen Worten gesagt, wozu ist die Redefreiheit noch gut, wenn es keine Denkfreiheit gibt? Denkfreiheit nicht als das zu denken, was einem gerade in den Sinn kommt gemeint, sondern als ein Denken, dass der Erkenntnis zugrunde liegt, dass das was wir im Äußeren wahrnehmen von unserer inneren Befindlichkeit abhängt?  Ja, die Ignoranz ist also tief verwurzelt in uns und viele gedankliche Verhaltensmuster und Ihre Bedeutung sind uns noch völlig unbewusst. Wie der Versuch unserem Nächsten unsere Meinung aufzubürden. Andererseits aber hängt die Befreiung von diesen mentalen Vorgängen nicht vom Alter, nicht vom Geschlecht, nicht von einer ethnischen Zugehörigkeit oder sonstiger Äußeren Bedingung ab. Vielmehr ist sie jedem und jeder zugänglich. Es bedarf lediglich zu lernen mit der eigenen Gedankenwelt umzugehen: aus dem an Nichts anhaften und Nichts abweisen, eine innere Einstellung zu machen. Wie ein Blatt sich dem Fallen, dem Herbst und dem Wind hingeben, ohne über eine angeblich bessere Vergangenheit zu klagen, ohne Angst vor der Zukunft im Sinn.    

Wenn die Innenwelt und die äußere Welt im Einklang sind und wieder Herbst ist, wenn die Blätter schweigsam fallen, dann ist es, weil wir selbst in Frieden sind. Dann ist die durch den Herbst herbeigebrachte Unordnung des Sommers völlig in Ordnung und widerspruchsfrei.  Das Abschiednehmen verursacht keine Wehmut mehr, denn dann ist es eine natürliche Eigenschaft der Schönheit zu zerfallen. Die Abende des Herbstes sind dann weder kalt noch kurz, sondern lediglich so wie sie sind. So lang wie ein ganzes menschliches Leben. So warm wie eine ganze Ewigkeit. 

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