Dies äußerst feinsinnige Bewusstsein ist kein gefühlsmäßiges Anhaften,
Es lässt das Eine stets umfassend predigen – Keizan Jokin
Der achtunddreißigste Patriarch war Großmeister Tozan Ryokai. Als er Ungan Donjo besuchte, sagte er: „Wer kann die unbelebten Wesen den Dharma predigen hören?“ Ungan antwortete „Die Unbelebten können die unbelebten Wesen den Dharma predigen hören.“ Tozan fragte: „Hört ihr ihn?“ Ungan Donjo erwiderte: „Wenn ich ihn hören könnte, dann könntest du mich nicht den Dharma predigen hören.“ Tozan sagte: „In diesem Fall hört Euch Tozan nicht den Dharma predigen.“ Ungan fuhr fort: „Wenn du mich immer noch nicht den Dharma predigen hörst, um wie viel weniger wird’s du dann die unbelebten Wesen den Dharma predigen hören?“ Da wurde Tozan tief erweckt und dichtete folgende Verse:
„Wunderbar! Wunderbar!
Das Predigen des Dharma durch unbelebte Wesen ist unfassbar.
Wenn du es mit den Ohren hören willst, ist es kaum zu verstehen.
Lauschst du aber mit den Augen, wirst du es begreifen.“
Ungan stimmte zu.
Hintergrund
Der Meister hieß Tozan und entstammte dem Yu-Clan aus Huiji. Als er noch jung war, las er mit einem Lehrer das Herzsutra. Bei den Worten „Es gibt kein Auge, kein Ohr, keine Nase, keine Zunge, keinen Körper und keinen Geist“, tastete er plötzlich sein Gesicht mit der Hand ab. Er fragte seinen Lehrer: „Ich habe Augen, Ohren, Nase, Zunge und alles andere. Warum behauptet diese Schrift, sie existierten nicht?“ Der Lehrer fand diese Frage bemerkenswert. Er sagte: „ich bin nicht dien Lehrer“ und sandte ihn zu Zen-Meister Limo auf den Berg Wuxie, wo ihm der Kopf geschoren wurde. Im Alter von zwanzig Jahren ging er auf den Berg Song und empfing die vollständigen Gebote. Er war das Lieblingskind seiner Mutter, da sein älterer Bruder bereits verstorben war und sein jüngerer Bruder in bitterer Armut lebte. Auch sein Vater war tot. Als er nach der Doktrin der Leere suchte, verließ er seine Mutter mit dem Gelübde: „Ich werde nicht an meinen Geburtsort zurückkehren und meiner Mutter Respekt erweisen, ehe ich den Dharma erlangt habe.“ Mit diesem Schwur verließ er seinen Geburtsort.
Schließlich beendete er seine Studien und lebte fortan auf dem Berg Dong. Da seine Mutter allein war und sich niemandem sonst nahe fühlte, suchte sie jeden Tag nach ihm und schloss sich schließlich einer Gruppe umherziehender Bettler an. Als sie hörte, dass sich ihr Sohn auf dem Berg Dong befand, sehnte sie sich danach, ihn zu treffen, doch Tozan wollte dies vermeiden und versperrte den Eingang zu seinem Wohnraum, sodass sie nicht eintreten konnte. In der Folge starb seine Mutter draußen vor Kummer. Daraufhin nahm Tozan das bisschen Reis, das sie als Bettlerin gesammelt hatte, und vermischte es mit dem Reisschleim, den die Mönchsgemeinschaft zum Frühstück einnahm, als eine Opfergabe für die Reise seiner Mutter in ein nächstes Leben. Bald danach erschien sie ihm in einem Traum: „Weil du an deinem Entschluss festgehalten und mich nicht getroffen hast, konnte ich die täuschenden Gefühle der Liebe und Anhaftung durchtrennen. Infolge der Macht dieser guten Wurzeln wurde ich im Reich der befriedigten Himmelswesen wiedergeboren.“
Teisho
Obgleich keiner der Patriarchen an Tugend unter- oder überlegen war, war es besonders Tozan, der alte Patriarch unserer Schule, der das Soto-Zen auf diese Weise verbreitete. Er besaß die Kraft, das Elternhaus zu verlassen, und er heilt an seinem Entschluss unbeirrt fest. Als er mit seiner Übung in Nanquans Gemeinschaft begann, wurde dort gerade des Todestages von Mazu gedacht. Während sie Opfergaben vorbereiteten, frage Nanquen die Mönche: „Wenn wir morgen Mazu die Opfergaben darbringen, glaubt ihr denn, dass er auch kommt?“ Die Mönche blieben stumm. Tozan trat vor und meinte: „Wenn er einen Bergleiter hat, wird er kommen.“ Nanquan bemerkte: „Obwohl er jung ist, eignet er sich gut zum Schneiden und Polieren.“ Tozan sagte: „Macht das Gute nicht zu etwas Schädlichem.“
Danach übte er bei Guishan. Zu ihm sagte er: Kürzlich hörte ich den Ausspruch von Nationallehrer Huizhong aus Nanyang über unbelebte Wesen, die den Dharma predigen, doch kann ich sein Feinheiten noch nicht begreifen.“ Guishan fragte: „Erinnerst du dich daran?“ Tozan sagte: „Ja, ich erinnere mich.“ Guishan forderte ihn auf: „Dann versuch es mal.“ Tozan sagte: „Ein Mönch fragte: „Was ist der Geist der alten Buddhas?“ Der Nationallehrer sagte: „Zäune, Mauern, Ziegel und Steine.“ Der Mönch frage: „Sind diese nicht alle unbelebt? Der Nationallehrer erwiderte: „Ja, das sind sie“. Der Mönch fragte: „Könnt Ihr erklären, wie sie den Dharma predigen?“ Der Nationallehrer sagte: „Sie predigen andauernd, mit Kraft und ohne Unterlass.“ Der Mönch fragte: „Warum kann ich sie nicht hören?“ Der Nationallehrer antwortete: „Du hörst sie nicht, doch das kann andere nicht davon abhalten, sie zu hören.“ Der Mönch sagte: „Ich frage mich, ob sonst noch jemand sie hören kann.“ Der Nationallehrer antwortete: „Die Heiligen können sie hören.“ Der Mönch fragte: „Wenn Ihr sie nicht hören könnt, wie könnt Ihr dann wissen, dass die unbelebten Wesen den Dharma predigen? Der Nationallehrer sagte: „Zum Glück kann ich sie nicht hören denn wenn ich es täte, wäre ich wie die Heiligen, und dann könntest du mich nicht den Dharma predigen hören„. Der Mönch fragte: „Spielen belebte Wesen also keine Rolle dabei?“ Der Nationallehrer sagte: „Dann sind sie nicht länger belebte Wesen.“ Der Mönch fragte: „Was ist in den Schriften die Grundlage für das Predigen des Dharma durch unbelebte Wesen? Der Nationallehrer antwortete: „Worte, die nicht mit den Schriften übereinstimmen, werden unter Ehrenmännern nicht diskutiert. Weiß du nicht, dass es im Avatamsaka-Sutra heißt: „Tempel predigen, belebte Wesen predigen und alle Dinge in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft predigen.“
Als Tozan dies gesagt hatte, meinte Guishan: „Auch ich besitze dieses Wissen, doch ich hatte noch keine Gelegenheit, einem Erwachten zu begegnen.“ Tozan sagte: „Es ist mir immer noch nicht klar. Ich bitte euch, mich zu unterweisen.“ Guishan erhob seinen Hossu und fragte: „Verstehst du?“ Tozan sagte: „Nein. Bitte erklär es mir.“ Guishan sagte: „Ich kann es dir nicht mit Worten erklären.“ Tozan fragte: „hat irgendjemand zur gleiche Zeit wie Ihre den Weg gesucht? Guishan sagte. „Gehe in die Steinhöhen von Liling in Youxian, dort wirst du auf Ungan treffen. Wenn du das Unkrautwilder Leidenschaft beseitigen und dich kopfüber in die Winde des Dharma stürzen kannst, wirst du gewiss willkommen sein.“ Tozan sagte: „Was sollte ein Schüler tun, wenn er einem Meister dienen will?“ Ich erwiderte: ER sollte einfach all seine Anhaftungen abschneiden.“ Er frage: „Wird er dann noch vermeiden können, der Lehre des Meisters zu schaden?“ Ich verneinte dies und sagte: Am wichtigsten ist, niemandem zu sagen, dass ich hier bin.“
Danach ging Tozan von Guishan direkt zu Ungan. Als er diesem die obige Geschichte erzählt hatte, frage er ihn: „Wer kann die Unbelebten den Dharma predigen hören?“ Tozan erwiderte: „Die Unbelebten können sie hören.“ Tozan fragte: „Könnt ihr sie hören? Ungan erwiderte: „Wenn ich sie hören könnte, würdest du mich nicht den Dharma predigen hören.“ Tozan fragte: „Warum kann ich sie nicht hören?“ Ungan erhob seinen Hossu und frage: „Hörst du etwas?“ Tozan verneinte. Ungan sagte: „Wenn du mich noch immer nicht den Dharma predigen hörst, um wie viel weniger denn die Unbelebten?“ Tozan fragte: Was ist in den Schriften die Grundlage für das Predigen der Unbelebten?“ Ungan erwiderte: „Weiß du nicht, dass im Amida-Sutra steht: Alle Flüsse, Vögel und Bäume preisen Buddha und predigen den Dharma?“ Bei diesen Worten erfuhr Tozan Erleuchtung.
Diese Begebenheit nahm ihren Anfang in der Gemeinschaft des Nationallehrers und endete schließlich in Ungans Höhe mit Tozans „Wunderbar, Wunderbar!“ usf. Als er mit dem Auge des Geistes hörte, verstand er sofort. Er sagte zu Ungan: „Ich habe noch immer ein paar Angewohnheiten nicht abgelegt.“ Ungan fragte: „Bist du glücklich oder nicht?“ Tozan sagte: „Ich habe nicht einmal die Vier Heiligen Wahrheiten praktiziert.“ Ungan fragte: „Bist du glücklich oder nicht?“ Tozan sagte: „Ich bin glücklich. Es ist, als würde man eine glänzende Perle in einem Abfallhaufen finden.“ Dann frage er Ungan: Was soll ich tun, wenn ich meinem ursprünglichen Selbst begegnen will?“ Ungan erwiderte: „Frag den Boten in dir“. Tozan sagte: „Ich frage ihn gerade jetzt.“ Ungan erkundigte sich: „Was erzählt er dir?“
Als Tozan Ungan verließ fragte er: „Wenn du gestorben bist und mich jemand fragt, was deine Lehre war, wie soll ich antworten?“ Ungan überlegte kurz und sagte dann: „Dies ist es, nur dies!“ Tozan schwieg eine Weile. Ungan sagte: „Du musst diese Angelegenheit besonders gründlich verstehen.“ Tozan hatte noch immer Zweifel. Als er später einen Fluss überquerte und sein Spiegelbild darin sah, wurden ihm plötzlich die vorangegangenen Geschehnisse klar. Er verfasste ein Gedicht:
„Suche nichts bei anderen,
sonst wirst du dich von deinem wahren Selbst entfernen.
Ich bin nun allein und unabhängig,
doch ich begegne ihm überall.
Es ist nun ich, doch ich bin nicht es.
Dieses Verständnis ist so wichtig,
um mit dem So-Sein eins zu werden.
Tozans Lebenswerk war vollendet, er war plötzlich von Zweifeln befreit.
Zu den unbelebten Wesen, die den Dharma predigen, befragte der Arbeiter Zhanfen aus Nanyang den Nationallerher Huizhong:
-Ich gestehe demütig, dass ich nichts verstehe, wenn Ihr von unbelebten Wesen sprecht, die den Dharma predigen. Ich bitte Euch, mich zu unterweisen.
Der Nationallehrer sagte:
– Wenn du mich dazu befragst, wie unbelebte Wesen den Dharma predigen, musst du zunächst das Unbelebte verstehen, dann wirst du auch meine Lehre begreifen.
Zhangfen sagte:
– Bitte erklärt mir gleich, was das Unbelebte ist, damit ein belebtes Wesen es verstehen kann.
Der Nationallehrer sagte:
– Genau jetzt ist in jedem, in dem keinerlei Gedanken an Gewöhnliches und Heiliges entstehen oder Bergen, ein feinsinniges Bewusstsein, das nicht von Sein oder Nicht-Sein abhängt, ein deutliches Gewahrsein ohne jegliches Anhaften. Darum sagte Patriarch Huineng: “Die sechs Sinne, die äußeren Objekte unterscheiden, sind nicht dieses Bewusstsein.”
So sprach Nanyang Huizhong über das Predigen des Dharma durch Unbelebte. Er sagte: “In jedem, in dem keinerlei Gedanken an Gewöhnliches und Heiliges entstehen oder vergehen, ist ein feinsinniges Bewusstsein, das nicht von Sein oder Nicht-Sein abhängt, ein deutliches Gewahrsein ohne jegliches Anhaften.“ Gewöhnlich denken Menschen, das Unbelebte müssten Zäune, Mauern, Ziegeln, Steine, Lampen und Säulen sein. Doch das ist es nicht, was der Nationallehrer uns sagt. Die Ansichten von gewöhnlichen und heiligen Menschen werden nicht unterschieden, ein Anhaften an Täuschung und Erwachen taucht nicht auf. Noch weniger gibt es die Intrigen leidenschaftlicher Gedanken und Wertungen und auch nicht die üblichen Bewegungen und Formen von Leben und Tod. Es ist ein feinsinniges Bewusstsein, das deutlich gewahr ist und nicht dem Anhaften des leidenschaftlichen Bewusstseins gleicht. Auch Tozan sagte, auf diese Weise müsse man es verstehen, um in Einklang mit dieser Wirklichkeit zu sein.
Wenn ihr wisst dass ihr stets alleine geht, wohin ihr euch auch wendet, dann gibt es keinen Augenblick mehr, in dem nicht alle Dinge im Einklang mit der Wirklichkeit sind. Die Alterwürdigen sagten: „Außerhalb der Wirklichkeit gibt es kein Wissen, das durch die Wirklichkeit beglaubigt würde, und es gibt keine Wirklichkeit außerhalb des Wissens, die durch Wissen kultivier würde. Wirklichkeit ist unwandelbares, klares und beständiges Wissen.“ Darum heißt es, es handele sich um vollständig klares Wissen, das nicht mit dem Denken verknüpft ist. Deutliches Gewahrsein ist nicht Anhaften. Guishan sagte: „Ich kann es dir nicht mit Worten sagen.“ Er sagte auch: „Wenn belebte Wesen es hören könnten, wären sie nicht länger belebte Wesen.“ Da er die Anleitungen verschiedener Meister empfing und das wahre Unbelebte verstand, konnte Tozan als unser alter Patriarch ausgiebig die Soto-Tradition verbreiten.
Durch genaue Betrachtung werdet ihr dieses feinsinnigen Bewusstseins deutlich gewahr. Man nennt es „unbelebt“, weil dort keinen Tönen und Formen nachgerannte wird und keine Fesselung an ein leidenschaftliches Bewusstsein herrscht. Dieses Prinzip muss sorgsam gepredigt werden. Wenn ihr also vom Predigen des Unbelebten hört, denkt nicht, dass es auf Zäune und Mauern verweist. Wenn ihr nicht an Gefühlen und Gedanken hängt und eure Wahrnehmung nicht zerstreut ist, dann ist das feinsinnige Bewusstsein klar, unbehindert und strahlend. Wenn ihr diesen Bereich zu erfassen sucht, ist dies nicht möglich da er nicht durch Form beschränkt ist, existiert er nicht. Doch wenn ihr ihn loswerden wollt, könnt ihr ihn nicht verlassen. Da er euch seit Menschengedenken begleitet hat, ist er nicht nicht-existent. Dennoch ist er kein Ergebnis des gewöhnlichen Bewusstseins, Wissens oder Denkens; noch weniger ist er mit den vier Elementen oder fünf Skandhas verbunden.
Hongzhi sagte: „Es gibt ein Wissen jenseits leidenschaftlichen Denkens und Unterscheidens, und einen Körper, der nicht aus den vier Elementen und fünf Skandhas besteht.“ Dies ist das feinsinnige Bewusstsein. Stets klar zu predigen bedeutet, dass es immer manifest ist. Dies ist wahres Predigen. Es lässt einen die Augenbrauen heben und mit den Augen blinzeln, laufen, stehen, sitzen, liegen, verwirrt sein, in Schwierigkeiten geraten, hier sterben und dort geboren werden, essen, wenn man hungrig ist, und schlafen wenn man müde ist. All dies ist Predigen. Sprechen, Arbeiten, Bewegung und Nicht-Bewegung sind ebenfalls Predigen. Es geschieht nicht nur mit Worten oder wortlos. Es ist das eine, das auf wunderbare Weise erscheint, das leuchtend und niemals dunkel ist. Da es in allem offenbar ist, selbst im Klaffen einer Muschel und dem Geräusch von Erdwürmern, predigt es deutlich ohne Unterlass. Wenn ihr es vollständig erfasst, werdet ihr eines Tages wie unser berühmter Patriarch Tozan anderen ein Vorbild sein.
Vers
Dies äußerst feinsinnige Bewusstsein ist kein gefühlsmäßiges Anhaften.
Es lässt das Eine stets umfassend predigen.
Quelle: Denkoroku. Die Weitergabe des Lichtes / Keizan Jokin. Frankfurt, Angkor Verlag, 2008
