NAGARJUNA

dscn64401
Das einsame Licht in der Weite des Alls ist frei von Dunkelheit.
Überall erstrahlt der Wunsch erfüllende Juwel – Keizan Jokin

Koan

Der vierzehnte Patriarch war der Ehrwürdige Nagarjuna. Als der dreizehnte Patriarch, der Ehrwürdige Kapimala, eine Einladung des Naga Königs angenommen hatte, erhielt er von diesem einen Juwel, der jeden Wunsch erfüllen konnte. Nagarjuna fragte ihn: “Dies ist der kostbarste aller Juwelen. Hat er eine Form oder ist er formlos?” Kapimala erwiderte: Bisher kennst du nur Form und Formlosigkeit und weißt nicht, dass dieser Juwel weder Form hat noch formlos ist, ja das er überhaupt kein Juwel ist”. Als er das hörte, wurde Nagarjuna tief erleuchtet.

Hintergrund

Meister Nagarjuna stammte aus Westindien und wurde auch „wilder Naga“ und „höchster Naga“ genannt. Der dreizehnte Patriarch Kapimala kam nach Westindien, nachdem er ordiniert wourden war und die Übertragung des Dharma empfangen hatte. Dort lebte ein Prinz namens Megeshvara, der Kapimala verehrte und in seinen Palais einlud, wo er ihm Gaben darbrachte. Der Ehrwürdige Kapimala sagte: „Der Tathagata lehrte, dass Bettelmönche sich nicht Königen, Ministern und anderen mächtigen Leuten nähern sollten. „Der Prinz sagte: „Nördlich von unserer Burg gibt es einen hohen Berg mit einer Steinhöhle. Möchte der Meister dort meditieren?“ Der Erhwürdige Kapimala stimmte zu. Am Berg angelangt, traf er auf eine riesige Schalange, widmete ihr aber keine Aufmerksamkeit und setzte seinen Weg fort. Da verfolgte ihn die Schlange und wickelte sich um ihn herum. Kapimala jedoch übertrug die Dreifache Zufluchtnahme auf die Schlange, die ihn daraufhin losließ.

Als Kapimala an der Höhle ankam, trat ein Mann in weißer Kleidung heraus und verneigte sich vor ihm. Der Wehrwürdige fragte ihn, wo er lebe, und der alte Mann antwortete: „Vor langer Zeit war ich ein Mönch, genoss die Einsamkeit und lebte verborgen in den Bergwäldern. Gelegentlich kam ein Novize vorbei und wollte unterwiesen werden, mich störte es jedoch, ihm antworten zu müssen, und ich wurde wütend und ablehnend. Als ich starb, wurde ich als riesige Schlange wiedergeboren und lebte fortan tausend Jahre lang in dieser Höhle. Aufgrund meines Karmas habe ich nun Euch getroffen und konnte die Dreifache Zufluchtnahme vollziehen, wofür ich Euch sehr dankbar bin.“
Kapimala fragte, wer sonst noch auf dem Berg lebe. Der Alte antwortete: „Zehn Li von hier gibt es einen gewaltigen Baum, unter dem sich fünfhundert Nagas aufhalten. Ihr Anführer heißt Nagarjuna. Er predigt den Nagas den Dharma, und auch ich habe ihm schon zugehört.“

Daraufhin brachte Kapimala sein Gefolge dorthin. Nagarjuna grüßte sie und sagte: „Tief in den Bergen ist es einsam und still, und riesige Schlangen hausen hier. Warum wendet der große Weise, der Höchstverehrte, seine heiligen Füße in dieser Richtung?“ Kapimala erwiderte: „Ich bin nicht der Höchstverehrte. Ich bin hierher gekommen, um diesen weisen Mann zu treffen.“ Nagarjuna fragte sich: „Hat dieser Lehrer Gewissheit erlangt und das Auge der Erleuchtung geklärt? Ist er ein großer Weiser, der den Mahayana weiterträgt?“
Kapimala sagte zu ihm: „Auch wenn du das eben nur gedacht hast, habe ich es in meinem Geist erfasst. Entsage einfach entschlossen den weltlichen Bindungen und kümmere dich nicht darum, ob ich ein Weiser bin oder nicht.“ Da entschuldigte sich Nagarjuna und ließ sich von Kapimala ordinieren. Auch die fünfhundert Nagas erhielten die Gebote. Nagarjuna folgte Kapimala vier Jahre lang. Kapimala erhielt vom Naga-König einen Juwel, der Wünsche erfüllte, und Nagarjuna begann das Gespräch über den kostbarsten aller Juwele“, wodurch er schließlich erwachte. So wurde er zum vierzehnten Patriarchen.

Teisho von Keizan Zenji

Nagarjuna studierte verschiedene nicht-buddhistische Lehren und besaß übernatürliche Kräfte. Er besuchte häufig den Naga-Palast und sah dort die Schriften der sieben vergangenen Buddhas. Allein vom Anblick der Titel wusste er, wovon sie handelten. So belehrte er dann die fünfhundert Nagas. Die Naga Könige Naga und Upananda und viele andere waren erleuchtete Bodhisattvas. Sie hatten alle die Übertragung früherer Buddhas erhalten und ihre Schriften in Schreinen aufbewahrt. Da die in Schriften verfassten Lehren des großen Meisters Shakyamuni ihre verwandelnde Wirkung unter Menschen und Himmelswesen weitgehend erschöpft hatten, sollten sie alle im Naga-Palast aufbewahrt werden.

Obwohl Nagarjuna große übermenschliche Kräfte besaß und sich oft mit den Naga-Königen zu Gesprächen traf, war er noch kein Mann des Weges, da er nur nicht –buddhistische Schriften studierte. Nachdem er vom dreizehnten Patriarchen die Gebote erhalten hatte, wurde seine Sicht jedoch klar. Viel Menschen denken, dass Nagarjuna nicht nur der vierzehnte Patriarch der Zen-Linie war, sondern auch ein Patriarch anderer Traditionen wie Shingon und Tendai. Selbst Ying-Yang-Zukunftsdeuter und Seidenhersteller haben ihn als ihren Patriarchen angesehen, da er all diese Traditionen studiert und in jeder ein Gefolge hatte. Als er der vierzehnte Patriarch wurde, ließ er von all diesen Übungen ab, doch viele Schüler hielten ihn noch immer für ihren wahren Patriarchen; sie sind wie Dämonen und Tiere, die über die Wahrheit im Irrtum sind und nicht zwischen Juwelen und Steinen unterscheiden können. Lediglich Nagarjunas Buddha-Dharma wurde übertragen, nämlich an den fünfzehnten Patriarchen Kanadeva; alle anderen Traditionen legte Nagarjuna ab. Diese Geschichte verdeutlicht dies, denn obwohl Nagarjuna die fünfhundert Nagas belehrte, wandte er sich sofort dem Ehrwürdigen Kapimala zu, als dieser auftauchte, verneigte sich vor ihm und stellte ihn auf die Probe. Kapimala blieb ruhig und offenbarte, als er befragt wurde, die wahre Lehre zunächst noch nicht. Nagarjuna dachte bei sich: „Ist das der große Weise, der das Wahre Fahrzeug geerbt hat?“, und er fragte sich, ob Kapimala ein authentischer Meister war.

Der dreizehnte Patriarch sagte: „Es ist nicht nötig, mich zu hinterfragen. Du musst deinen eigenen Entschluss festigen, Mönch zu werden.“ Das beschämte Nagarjuna, und er wurde zu Kapimalas Schüler. Nun müsst ihr euren eigenen Entschluss festigen. Nagarjuna sagte: „Dies ist der kostbarste aller Juwelen. Hat er eine Form oder ist er Formlos?“ Nagarjuna wusste von dieser Perle, doch von Form und Formlosigkeit abzuhängen heißt, der Dualität von Existenz und Nicht-Existenz anzuhängen. Darum belehrte ihn Kapimala. Selbst wenn dies nicht der kostbarste Juwel ist, kann man dessen Wirklichkeit nicht als Form oder Formlosigkeit bezeichnen; es ist einfach ein Juwel. Das gleiche gilt für den Juwel in der Stirn des Ringkämpfers, den Juwel im Haarknoten des Königs, den Juwel unter dem Kinn des Naga-Königs und den Juwel, der in den Kleidern des Trinkers versteckt ist – sie alle sind Metaphern, für die innewohnende Buddha-Natur, doch die meisten Menschen erkennen sie nicht und können nicht sagen, ob diese Juwelen Form haben oder nicht. Tatsächlich sind diese Juwelen bloß gewöhnliche Juwelen und nicht der kostbarste Juwel des Weges. Dieser Juwel des Weges ist nicht einmal ein Juwel. Dies müsst ihr sehr genau klären.

Zen-Meister Xuansha (Gensha Shibi) sagte: „Das ganze Universum ist ein glänzernder Juwel.“ Die gewöhnlichen Sichtweisen von Menschen und Himmelswesen können dies wirklich nicht erfassen. Docha auf ein gewöhnlicher Juwel kommt nicht von außerhalb, sonder erscheint im menschlichen Geist. Der Himmelskönig Shakra (Indra) benutzt ihn als Wunsch erfüllenden oder Mani- Juwel. Wenn amn ihn auf eine schmerzende Stelle am Körper hält, wird diese geheilt; legt man ihn bei Sorgen auf die Stirn, verschwinden auch diese. Selbst übernatürliche Kräfte sind dem Juwel eigen. Unter den sieben Schätzen eines Weltherrschers gibt es ein Mani-Juwel. Alle Schätze entstammen daraus, und seine Nutzbarkeit ist unerschöpflich. Auch die karmischen Folgen eines Daseins als Mensch oder Himmelswesen bedingen Unterschiede und ein „überlegen“ oder „unterlegen“. Der Wunsch erfüllende Juwel der Menschenwelt wird auch Reiskorn genant. Dies ist ein wertvoller Juwel. Verglichen mit einem himmlischen Juwel wirkt er vielleicht künstlich, dennoch ist er ein Juwel. Wenn der Buddha-Dharma ausgelöscht ist, werden die Reliquien Buddhas zu Mani-Juwelen, die auf alles regnen und sich in Reis verwandeln, um den Menschen zu helfen. Auch wenn er als Buddha-Körper, als Reiskorn, als einziger Juwel oder als Myriaden von Phänomenen erscheint, sobald der eigene Geist ihn manifestiert, wird er zu diesem langen Körper, zu einer Figur mit drei Köpfen, einem Tier mit Hörnern und Fell und zu unzählbaren anderen Formen. Darum sollt ihr diesen Geist-Juwel erkennen. Such nicht die Einsamkeit in den Bergen, versteckt euch nicht wie Mönche in vergangenen Zeiten, und wie es heute wieder Menschen tun, die noch nicht vollständig erleuchtet sind. Sie denken, dass die Gesellschaft anderer und deren Geschäftigkeit sie davon abhält, die Stille zu finden; darum wollen sie allein für sich in den Bergen den Weg praktizieren und Zazen üben. Viele, die so versteckt in den Bergen leben, übern auf die falsche Weise und geraten auf Abwege. Dies geschieht, weil sie den wahren Dharma nicht kennen und sich selbst in den Vordergrund stellen. Sie behaupten: „Zen Meister Damei Fazhang (Daibai Hojo) übte Zazen in einem nebligen Kiefernwald mit einer kleinen Eisenpagode auf seinem Kopf. Meister Gusihan Lingyou (Baso Doitsu) übte in Wolken und Nebel mit Tigern und Wölfen als Gefährten. Auch wir sollten auf diese Weise praktizieren.“ Das ist wirklich lächerlich. Ihr müsst verstehen, dass diese Meister alle bereits Erleuchtung und die Bestätigung durch einen wahren Lehrer erfahren hatten. Erst danach übten sie eine Weile in der Einsamkeit, um ihr Verständnis zu vertiefen und die rechte Gelegenheit abzuwarten, selbst zu lehren. Es geschah also, nachdem Damei das wahre Siegel von Mazu und nachdem Gusihan die Übertragung von Baizhang erhalten hatte – und nicht davor, wie die Unwissenden glauben. Die alten Weisen wie Yingshan und Luoshan lebten vor ihrer vollständigen Erleuchtung niemals allein. Sie waren klarsichtige, wahre Männer von großer Weisheit und Tugend, die der Nachwelt ihren Ruhm hinterließen. Wenn ihr allein in den Bergen lebt und dort vernachlässigt, das zu durchdringen was ihr durchdringen sollt, und das zu erreichen, was ihr erreichen sollt, dann werdet ihr wie Affen sein. Das käme einem ernsthaften mangel an Buddha suchenden Geist gleich.

Wenn ihr Dharma-Auge nicht klar ist, werden diejenigen, die allein die Übung des Einsseins von Körper und Geist praktizieren, zu Shravakas und Pratyeka-Buddhas, und sie werden den Samen ihrer Buddhaschaft zerstören. Darum üben die Schüler ernsthaft über einen langen Zeitraum in einem Kloster mit einem religiösem Lehrer, um den Weg zu klären, ihre Wurzeln zu vertiefen und das Erlangte zu festigen. So folgt man den Patriarchen, insbesondere Eihei Dogen, der verbot, alleine zu üben, damit wir nicht auf auf Abwege geraten. Der zweite Patriarch Koun Ejo sagte: „Nachdem die Alten das Markt der Übung erlangt hatten, lebten sie zehn bis zwanzig Jahre lang in den tiefen Bergen, vergaßen die menschliche Gesellschaft und gaben die Welt des Schmutzes auf. In unserer heutigen Zeit kann man das kaum verwirklichen.“ Huanglang Huinan sagte: Statt in den Bergen den Weg für dich zu behalten, bis zu alt und krumm geworden bist, ist es da nicht besser, Übende in einem Kloster anzuleiten?“
Große Zen-Meister der Vergangenheit hielten nichts davon, allein zu leben. Und heutzutage sind die Fähigkeiten der Menschen noch dazu geringer als früher. Darum solltet ihr im Kloster bleiben, um den Weg zu üben und zu klären. In der obigen Geschichte hing ein alter Meister zu sehr an der Einsamkeit, und als ein junger Mönch vorbeikam, wurde er wütend und verweigerte eine Antwort. Daran erkennen wir, dass sein Körper und Geist noch nicht in Harmonie miteinander waren. Wenn man alleine lebt, entfernt vom Lehrer, wird man dem Karma seiner Handlungen nicht entfliehen können, selbst wenn man den Dharma predigen kann wie Nagarjuna. Da ihr in der Vergangenheit gute Wurzeln angelegt habt, könnt ihr Tathagatas Wahren Dharma vernehmen, der besagt, dass wir uns keinen Königen und Ministern nähern sollten. Andererseits sollen wir auch nicht allein leben. Setzt einfach fleißig eure Übung fort und konzentriert euch darauf, zur Quelle des Dharmas vorzudringen. Dies sind die wahren Worte Buddhas.

Quelle: Denkoroku. Die Weitergabe des Lichtes / Keizan Jokin. Frankfurt, Angkor Verlag, 2008

Hinterlasse einen Kommentar