BODHIDHARMA


Der achtundzwanzigste Patriarch war der Ehrwürdige Bodhidharma. Einmal fragte der siebenundzwanzigste Patriarch, der Ehrwürdige Prajnatara: „Was unter all den Dingen ist formlos?“. Bodhidharma antwortete: „Nicht-Entstehen ist formlos.“ Der Patriarch fragte: „Was unter all den Dingen ist das Größte?“ Bodhidharma erwiderte: „Die wahre Natur der Dinge ist das Größte.“

Hintergrund

Der Ehrwürdige Bodhidharma stammte aus einer Kriegerkaste und wurde ursprünglich Bodhitara genannt. Er war der dritte Sohn des Königs von Koshi in Südindien. Der König bezeugte dem Buddha-Dharma tiefe Verehrung. Einmal schenkte er Prajnatara einen kostbaren Juwel als Almosen. Der König hatte drei Söhne: Chandravimalatara, Punyatara und Bodhitara. Der Ehrwürdige Prajnatara wollte deren Weisheit prüfen. Er zeigte ihnen den Juwel, den er erhalten hatte, und fragte: „Kann man irgendetwas mit diesem Juwel vergleichen?“ Zwei der Söhne sagten: „Dieser Juwel ist das kostbarste unter den Sieben Schätzen, nichts kann ihn übertreffen. Wer außer Eurer Heiligkeit könnte ihn empfangen?“ Der dritte Sohn Bodhitara sagte jedoch: „Dies ist ein weltlicher Schatz, ganzsicher nicht der kostbarste. Ich halte den Schatz des Dharma für den kostbarsten. Dies ist ein weltliches Licht, ganz sicher nicht das wertvollste. Ich halte das Licht der Weisheit für das wertvollste. Dies ist eine weltliche Klarheit, ganz sicher nicht die größte. Ich halte die Klarheit des Geistes für die größte. Das strahlende Licht dieses Juwels kann sich nicht selbst erleuchten, sondern benötigt das Licht der Weisheit um erkannt zu werden. Wenn man es genau erkennt, weiß man auch, dass es ein Juwel und damit kostbar ist. Diese Kostbarkeit ist selbst aber nicht kostbar, wie auch der Juwel selbst kein Juwel ist. Der Juwel ist deshalb kein Juwel, weil es nötig ist, mithilfe des Juwels der Weisheit den weltlichen Juwel zu erkennen. Die Kostbarkeit ist nicht kostbar, weil es nötig ist, mithilfe des Weisheitsschatzes den Dharma- Schatz zu klären. Weil der Weg des Meisters den Weisheitsschatz beinhaltet, erkennt ihr nun diesen weltlichen Schatz. Wenn der Meister den Weg verwirklicht, manifestiert sich der Schatz ebenso, wie wenn Lebewesen den Weg verwirklichen.“
Als der Ehrwürdige Prajnatara dies hörte, wusste er ein Weiser geboren worden war. Er erkannte, das Bohitara sein Dharma Nachfolge würde, die Zeit dafür jedoch noch nicht gekommen war. Darum sagte er zunächst nichts und ließ Bodhitara bei den anderen verweilen. Schließlich frage er „Was unter all den Dingen ist das größte?“. Bodhitara erwiderte: „Die wahre Natur aller Dinge ist das größte.“ Auch wenn in diesem Austausch von Fragen und Antworten der Geist von Meister und Schüler verschmolzen, wartete Prajnatara noch das vollständige Reifen der Umstände ab.
Als später der König, Bodhitaras Vater, starb und das Volk trauerte, trat allein Bodhitara vor dessen Totenbahre in Samadhi ein. Nach sieben Tagen beendete er seine Versenkung und suchte Prajnatara auf, um Mönch werden zu können. Prajnatara wusste, dass sie Zeit für Bodhitara nun reif war, und gab ihm die Gebote. Danach saß Bodhitara hörte gut zu und erweckte die höchste Weisheit. Dann sagte Prajnatara: „Du hast nun vollständiges Wissen über alle Dinge erlangt. „Dharma“ heißt „tiefes Verständnis“, darum sollt du ab jetzt Dharma heißen“. So änderte Prajnatra den Namen Bodhitaras zu Bodhidharma.
Nach seiner Ordination und dem Empfangen der Lehre kniete Bodhidharma nieder und fragte: „Da ich nun den Dharma empfangen habe, wo soll ich Buddhas Werk verrichten?“ Prajnatara antwortete: „Du solltest zunächst noch siebenundsechzig Jahre nach meinen Tod in Südindien bleiben und dann nach China gehen, um diejenigen zu unterweisen, die eine tiefe Aufnahmebereitschaft für den Dharma haben.“ Bodhidharma fragte: „Werden sie dort in der Lage sein, große Gefäße für den Dharma zu werden? Und werden nach langer Zeit nicht Schwierigkeiten auftauchen?“ Prajnatara erwiderte: „Diejenigen, die dort Erweckung erfahren, werden unzählig sein. Ein paar kleine Probleme wird es zwar geben, aber die wirst du selbst in den Griff bekommen. Wenn du dort ankommst, bleibe nicht im Süden, denn dort schätzt man nur weltliches Werk und nicht die wahren Prinzipien der Buddhas.“ Dann sprach er die Versen:

„Über Straßen und den Ozean wirst du reisen
und einem Schaf begegnen.
Im Dunkeln wirst du heimlich allein einen Fluss überqueren.
Dort werden zwei Bedauernswerte ein Paar: Elefant und Pferd.
Zwei junge Zimtbäume werden auf ewig erblühen.“

Weiter sagte er: „Du wirst in deiner Mönchsgemeinde jemanden finden, der die Früchte des Weges erlangt“, und sprach noch einmal in Versen:

„Auch wenn China ein großes Land ist, gibt es keinen anderen Weg.
Deine Handlungen müssen sich auf deine Nachfahren stützen.
Ein goldener Fasan kann ein einziges Hirsekorn aufpicken
Und allen Arhats in den zehn Richtungen anbieten.“

So erhielt Bodhidharma das Siegel der Übertragung und diese Vorhersage, und er blieb zunächst vierzig Jahre lang an Prajnataras Seite. Nach dessen Tod lehrte ein Bruderschüler namens Bodhisena, der ebenfalls das Siegel von Prajnatara erhalten hatte, gemeinsam mit Bodhidharma. Ein weiterer Schüler namens Bodishanta hatte die Nachfolger in zwei Schulen gespalten, doch Bodhidharma konnte sie alle unterweisen und ihre Achtung gewinnen. Nach über sechzig Jahren hielt er die Bedingungen in China für günstig. Er sprach beim König, der nichtbuddhistische Ansichten hegte, mit den Worten vor: „Ich muss die Drei Schätze ehren und allen Menschen verkünden. Die Zeit ist reif, nach China zu gehen. Wenn meine Arbeit dort beendet ist, werde ich zurückkehren.“ Unter Tränen fragte der König: „Was ist an diesem Land so schlecht und an China so verheißungsvoll? Kehrt jedenfalls sofort zurück, sobald Euer Werk dort vollendet ist. Vergesst nicht das Land Eurer Eltern.“ Sie begaben sich gemeinsam zum Hafen, wo der König Bodhidharma persönlich verabschiedete. Der Ehrwürdige brauchte drei Jahre um den Ozean zu überqueren, und kam am einundzwanzigsten Tag des neunten Monats im Jahr 527 in China an. Als erstes hatte er eine Audienz beim Herrscher Wu der Liang-Dynastie. Darauf hatte sich einst Prajnatara mit seinen Worten „Bleib nicht im Süden“ bezogen. Darum begab sich Bodhidharma bald nach Norden ins Reich der Wei. Man sagt, es hätte ihn auf einem Schilfblatt im Yantze-Fluss dorthin getrieben. Die Leute denken gewöhnlich, dass es tatsächlich nur ein einziges Schilfblatt war, doch das ist ein Fehler. Bei den Blatt handelte es sich um ein kleines Boot, dass in seiner Form dem Schilf ähnelte. „Ein Schaf treffen“ verweist auf den Herrscher Wu im Reich der Liang, und „einen Fluss im Dunkeln überqueren“ auf den Yangtze. So kam er bald im Shaolin-Kloster auf dem Berg Song an und verweilte dort zunächst in der Östlichen Halle. Niemand wurde aus ihm schlau, da er den ganzen Tag übte. Sie nannten ihn den „Wand betrachtenden Brahmanen“. Neun Jahr lang sprach er weder ungestüm noch in einfachen Worten über den Dharma. Dann übertrug er seine Haut, sein Fleisch seine Knochen und sein Mark an Daofu, Daoyua, Zongchi und Huike, da sie reif genug dafür waren.
Zu dieser Zeit waren die beiden Nichtgläubigen Bodhiruci und der Vinaya-Meister Guandong sehr aufgebracht, weil das Verdienst des Ehrwürdigen sich im Land verbreitete und die Mensche sich respektvoll an ihn wandten. Sie warfen Steine nach ihm, schlugen ihm die Vorderzähne aus und versuchten fünf Mal, ihn zu vergiften. Beim sechsten Versuch legte Bodhidharma das Gift auf einen Felsen, der daraufhin zersplitterte. Er sagte sich: „Die Bedingungen für meine Lehre sind ungünstig. Ich habe das Siegle und die Vorhersage von meinen Lehrer erhalten und zunächst günstige Umstände und eine große Aufnahmebereitschaft für die Lehre des Mahayana in China entdeckt. Doch durch mein Treffen mit Herrscher Wu aus Liang erfüllte sich diese Hoffnung ebenso wenig wie mit anderen. Während ich allein in Untätigkeit saß traf ich auf den Großen Huike und übertrug ihm den Weg, den ich erlangt hatte. Meine Arbeit ist also beendet und ich sollte gehen.“ Er wurde am Bärenohr-Gipfel begraben. Auch wenn es heißt, er habe später noch einen Mann namens Songyun im Zwiebel-Gebirge getroffen, wurde er in Wahrheit auf den Bährenohren Gipfel begraben.

Teisho von Keizan Zenji

Zweifellos war Bodhidharma gemäß der Vorhersage des siebenundzwanzigsten Patriarchen der erste Patriach in China. Als Bodhidharma ein Prinz war, fragte der erwürdige Prajnatara, nachdem er die Bedeutung des Juwels erklärt hatte: „Was unter all den Dingen ist formlos?“ Der Erwürdige antwortete: „Nicht-Entstehen ist formlos.“ Jener Bereich kann wie eine steile Klippe gesehen werden, die in den Himmel ragt, oder als etwas, das die Unterschiede in vielen Dingen hell erleuchtet. Ihr könnt alle Dinge für nichts als das halten: unwandelbar verweilend in ihrem eigenen Zustand. Doch ist das kein Nicht-Entstehen, und darum sind sie nicht formlos. Wie könnt ihr noch vor der Trennung in Himmel und Erde das Heilige und das Gewöhnliche unterscheiden? In diesem Bereich kann kein einziges Ding erscheinen und kein einziges Staubkorn beschmutzen und doch ist es nicht so, dass da ursprünglich nichts wäre. Er ist weit und klar wie der Himmel, wach und unberührt, unvergleichbar und alleinstehend. Darum ist er das Allergrößte. Und deshalb heißt es, dass man sich das Größte nicht vorstellen könne, und das Unvorstellbare wird Dharma-Natur genannt. Nicht einmal der kostbarste Juwel kann damit vergleichen werden, nicht einmal das klare licht des Geistes ähnelt ihm. Bodhidharma sagte: „Dies ist ein weltliches Licht, ganz sicher nicht das wertvollste. Ich halte das Licht der Weisheit für das wertvollste.“ So verstand er es aufgrund seiner natürlichen Weisheit, und doch übte er nochmals sieben Tage Zazen und hörte sich an, was sein Lehrer über die wundervollen Prinzipien der Meditation zu sagen hatte, woraufhin er schließlich die unübertroffene Weisheit des Weges erweckte.
Das Beispiel Bodhidharmas zeigt, dass man in diesem Bereich infolge genauer Einsicht das erlangen und klären kann, was die Buddhas und Patriarchen verwirklichten. So wird man zu deren Nachfolger. Obwohl Bodhidharma natürliche Weisheit besaß, erweckte er noch die höchste Weisheit des Weges. Später beschützte er sorgsam den Dharma, diente seinem Lehrer und studierte den Dharma vierzig Jahre lang genaustens, verbrachte dann sechzig Jahre, ohne die Vorhersage seines Meisters zu vergessen, und überquerte schließlich in drei Jahren den Ozean. Nachdem er neuen Jahre in einem ihm unbekannten Land in stille Meditation verbracht hatte, erkannte er es als großes Gefäß für die wahre Lehre zahlte seinem Meister die Dankesschuld, indem er den Dharma dort verbreitete. Seine Mühsal und seine Entbehrungen waren größer als die von irgendwem sonst.
Die Schüler von heute wollen einen einfachen Weg gehen, obwohl wir in einer Zeit des Verfalls leben und die Fähigkeiten der Menschen nur beschränkt sind. Menschen wie sie, die fälschlich behaupten, verstanden zu haben, sind eitle Gesellen, die sich besser vom Zen-Studium verabschieden sollten.
Wenn ihr die obige Geschichte tief durchdringt, werdet ihr mehr und mehr erkennen, wie erhaben sie ist. Zerschmettert euren Geist und werft euren Körper ab, dann wir euch fas unmerklich die Hilfe aller Buddhas zukommen und ihr werdet mit ihnen teilen, was sie verwirklicht haben. Glaubt aber nicht, dass es mit ein bisschen Weisheit jeder Halbwissen getan ist.

Vers

Es gibt kein Ort, keine Grenzen, kein außerhalb – wie könnte da auch nur der Flaum des Herbstes existieren?

Quelle: Denkoroku. Die Weitergabe des Lichtes / Keizan Jokin. Frankfurt, Angkor Verlag, 2008

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