Koan
Der zweite Patriarch war der Ehrwürdige Ananda. Einst fragte Ananda den Ehrwürdigen Mahakashyapa: Älterer Dharmabruder, was außer dem goldenen Kesa hat der Weltgeehrte dir noch vermacht?“ Mahakasyapa rief: „Ananda!“ Ananda erwiderte: „Ja?“ Mahakashyapa sagte: „Hol die Fahne vor dem Tor ein!“ Ananda erwachte.
Teisho von Keizan Zenji
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Ananda dachte, dass Buddha die goldene Robbe nur deshalb an Mahakashyapa weitergegeben hätte, um zu zeigen, dass dieser ein Schüler war uns sonst nichts. Nachdem Ananda aber mit Mahakashyapa vertrauter geworden war, eraknnte er, dass es bei der Übertragung um mehr ging als die goldene Robe. Mahakashyapa wusste um den günstigen Augenblick und rief „Ananda!“: Es war, als würde das Echo eines Tales ertönen, als Ananda sofort wie der Funke eines Feuersteins antwortete. Als Mahakashyapa „Ananda“ rief, wollte er diesen nicht einfach herbeirufen, und Ananda antwortete auch nicht entsprechend. Das „Hol die Fahne ein“ verweist auf einen alten indischen Brauch. Als Buddhas Schüler einen Disput mit Nicht-Buddhisten hatten, stellten beide ihre Fahnen vor dem Tor auf. Wenn eine Seite im Disput unterlegen war, wurde deren Fahne im Stillen – ohne Glocken oder Trommeln zu schlagen – eingeholt.
Diese Geschichte scheint nahezulegen, dass auch Ananda und Mahakashyapa ihre Fahnen nebeneinander stellten; wäre Ananda erfolgreich, würde Mahakashyapa seine Fahne einholen- einer würde weiterkommen und der andere müsste gehen. Dies ist jedoch nicht der Fall. Wären Ananda und Mahakashyapa nur Fahnenmäste, bliebe die Bedeutung verborgen, denn wird die Fahne eingeholt, taucht einfach die nächste auf.
Als Mahakashyapa den Ananda bat, die Fahne vor dem Tor einzuholen, erfuhr Ananda spontan Erwachen, weil er Einblick in den Geist Mahakashyapas hatte: Er verwirklichte den Weg gemeinsam mit seinem Lehrer. Nach dieser Erleuchtung wurde Mahakashyapa selbst eingeholt, und alle Berge und Flüsse verschwanden. Folglich erschien Buddhas Kesa auf dem Kopf Anandas.
Ihr solltet es freilich nicht dabei belassen, wie eine zehntausend Fuß hohe Klippe in diesem Morast aus rotem Fleisch zu stehen. Haltet euch nicht mit der Reinheit auf. Versteht vielmehr das Echo der Berge. Generation um Generation sind Buddhas und Patriarchen in der Welt erschienen, um den Dharma zu predigen. Dies ist der Punkt: Geist wird durch Geist übertragen. Nur wer dies erfährt, kann es verstehen. Auch wenn Mahakashyapa und Ananda zu diesem Morast aus rotem Fleisch gehören und ihr wahres Gesicht zeigen, dürft ihr nicht glauben, dass sie die einzigen wären. Ihr Mönche seid nun selbst zehntausend Fuß hohe Klippen und manifestiert zahllose Formen des wahren Gesichtes. Versteht ihr dieses wahre Gesicht, werdet ihr sofort verschwinden. Sucht das Einholen der Fahne also nicht außerhalb von euch selbst.
Vers
Wenn Glyzinien vertrocknen, Bäume umfallen und Berge zusammenstürzen, dann strömmen Büche aus dem Tal hervor, und Funken sprühen vom Feuerstein.
(1) Denkoroku. Die Weitergabe des Lichtes / Keizan Jokin. Frankfurt: Angkor Verlag, 2008.
