SHINJI SHOBOGENZO – NEUNZEHN


Sitzen ist die Praxis der Buddhas. Sitzen ist Nicht tun. Es ist die wirkliche Form des Seins. – Eihei Dogen

Mit freundlicher Genehmigung von Gudo Wafu Nishijima Roshi, beginnen wir in diesem Blog mit der Verwendung einiger Koans aus Dogen Zenji´s Sammlung von 301 Koan. Diese Koan Sammlung diente Meister Dogen als grundlegendes Material für seine Lehrvorträge und Schriften. Die Erläuterungen sind von Nishijima Roshi.

Neunzehn

Meister Joshu fragte Meister Nansen: Was ist die Wahrheit?
Meister Nansen antwortete: Ein normaler Geist ist die Wahrheit.
Meister Joshu sagte: Können wir ihn mit absichtsvollen Bemühen erlangen?
Meister Nansen entgegegnete: Falls wir eine solche Absicht hegen, wird uns die Wahrheit abweisen.
Meister Joshu sagte: Wenn wir keinerlei Absicht haben, uns der Wahrheit zu nähern, wie können wir sie dann als Wahrheit erkennen?
Meister Nansen erwiderte: Die Wahrheit ist nicht davon abhängig, ob wir sie erkennen oder nicht. Wissen ist eine Täuschung und nicht zu wissen ist weder gut noch schlecht. Wenn wir absichtslos die Wahrheit erlangen, würde das den Raum gleichen: Sie ist unermesslich weit. Wie können wir es dann wagen, darüber zu diskutieren, ob unser Erkennen richtig oder falsch ist?
Beim Hören dieser Worte erkannte Meister Joshu plötzlich etwas Tiefgründiges.

Kommentar

Was ist die Wahrheit? Dazu vertraut uns Meister Nansen umgehend Folgendes an: Der normale Geist ist die Wahrheit. Freilich gibt es dabei insofern einen Haken, als dass die Wahrheit nicht identisch mit dem Begriff „normaler Geist“ ist. Die Wahrheit bedeutet, diesen Geist zu leben. Daraufhin stellt Joshu eine Frage, die viele Zen-Schüler beschäftigt. Können wir die Wahrheit durch absichtsvolles Bemühen erlangen oder nicht? Und wenn nicht, wie ist die Wahrheit zu erkennen, wenn wir sie gefunden haben?
Meister Nansen sagt, die Wahrheit werde vor uns fliehen, wenn wir sie bewusst suchen. Dies ist so, weil solch ein Vorsatz ein Erzeugnis des unterscheidenden Denkens ist. Die Wahrheit umschließt jedoch unser ganzes Dasein, nicht nur den Geist. So vermag das geistige Vermögen allein uns niemals zur Wahrheit zu führen. In der Tat beginnen die meisten Leute ihr Studium des Buddha-Weges mit genau dieser Absicht. Sie möchten die wunderbare Erleuchtung erlangen, von der sie so viel gehört haben.
Wirkliche Praxis jedoch ist nur die einfache Übung, unbefleckt von irgendwelchen äußerlichen Elementen, ungeachtet dessen, wie schön oder edel sie auch sein mögen. Die Vorstellung, man könne die Wahrheit erlangen, ist nichts anderes als eine Idee, die in unserem Kopf herumgeistert. In der tatsächlichen Praxis de Buddha-Weges tritt rasch das Gefühl, dass unsere Beine wie Feuer brennen, an ihre Stelle.
Diese Erfahrung ist gewiss wichtiger als eine Idee von Erleuchtung, denn im Schmerz lernen wir, dass die Welt nicht bloß im Denken, nicht allein aus Vorstellungen besteht. Wenn wir praktizieren, „lernen“ wir andere Dinge, und zwar nicht allein mit dem Geist oder Verstand, sondern mit dem ganzen Körper/Geist. Wir studieren den ausgewogenen und gleichbleibenden Körper/Geist. Im Laufe dessen wird dann die Absicht, Erleuchtung zu erlangen, als ziemlich pubertär angesehen werden. Wir praktizieren unmittelbar in der Wirklichkeit, erfahren sie.
Die Wahrheit ist klar und weit, sie hat nicht mit dem Märchen zu tun, dass sie durch absichtvolles Bemühen erlangt werden könnte. Es ist an der Zeit, sich solcher Vorstellungen zu entledigen und mit der wirklichen Übung des Buddha-Weges zu beginnen. Die konkrete Praxis des Buddha-Weges ist Zazen.

Aus: Die Schatzkammer der wahren buddhistischen Weisheit – Dogen Zenji´s Sammlung von 301 Koan – Geschichten erläutert von einem Meister der Gegenwart. 2005, O.W. Barth Verlag.

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